Dem trockenen Sommer von 1921 folgt ein strenger, andauernder Winter, in dem die Weser an einem Donnerstag Punkt 12 Uhr zum Stehen kommt. Damit ist das Außergewöhnliche eingetreten, daß in einem Winter die Weser zweimal zugefroren ist. Das Ereignis vollzieht sich ohne Besonderheiten. Am Morgen ist die Weser zur Hälfte noch eisfrei. Da der scharfe Ostwind das Eis an das Westufer drängt, staut das Wasser plötzlich, und das Eis setzt sich. Im Laufe des Tages wird die Weser bereits von Ufer zu Ufer passierbar. Von Nah und Fern wird die Petershäger Eislandschaft aufgesucht, sie bildet einen Anblick, wie er sich vielleicht in einem Jahrhundert nicht wieder bietet. In der Nähe der Fähre ragt ein etwa 8 m hoher Eisberg über die Weser empor.

Die Weser fließt in einer Eisschlucht dahin. An dem Ufer schließt sich, soweit das Auge reicht, Eishügel an Eishügel, unterbrochen von Schluchten, tiefen Spalten und phantastischen Eisgrotten. Beim Überschreiten des Eises ist Vorsicht geboten, denn manch tückisches Loch lauert in den Tiefen. Ein Seminarist rutscht in ein solches Loch und steht bis zur Brust im Wasser. lm Fährhaus steht in den Ställen und Stuben Wasser. Die Schweine werden auf den Boden gebracht, die Kuh muß im Wasser stehen bleiben. Am Abend kommen Pioniere als Retter. Mit zwei Pontons stellen sie eine Fähre her und retten die Kuh. Das Fährseil ist zerrissen, die Telegrafenstangen vom Eis umgebrochen. (Geschichten und Geschichte, 1989)

Ein Naturphänomen, das in strengen Wintern bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts auftrat und seit der Mittelweser-Kanalisierung der Vergangenheit angehört.

 

Hegi Gieseking auf den Schollen des Eisgangs 1922.