Stadtrundgang Petershagen

Station 15 - Altes Amtsgericht

1912 weichen drei alte und ansehnliche Ackerbürgerhäuser dem Neubau eines Amtsgerichts mit Gefängnis (1913-1914). Der Besitzer Gottlieb Heinrich Karl Meyer (geb. 1838, gest. 1916, mit Spitznamen “Geizhals Meier” genannt) verkaufte für diesen Zweck seine Besitztümer an die Stadt Petershagen und erhielt 25.000 Goldmark als Gegenwert.

Im Kaufvertrag vom 12. Oktober 1908 wird u.a. festgelegt, dass die Gefängnismauer “einen Einblick der Schüler von der geplanten Volksschule aus” verhindern soll. Bis 1959 sitzen Gefangene in den fünf Zellen ein. 1978 wird das Gefängnis geschlossen. 

Die Stadt Petershagen richtet hier 1989 eine Bürgerbegegnungsstätte ein, nachdem das Amtsgericht 1984 nach Minden verlegt worden war.

Der Verein “Rast im Knast” bietet seit 1993 Zellen zur Übernachtung an.

Das Amtsgericht nach der Eröffnung 1914. Der nördliche Anbau mit der Richterwohnung fehlt noch.

Schöne Fachwerkhäuser weichen dem Amtsgericht (1913)

Wo in der Mindener Straße das Gebäude des ehemaligen Amtsgerichts steht, standen einst alte Fachwerkhäuser mit schönem Gebälk und großen geschnitzten Holztoren.

In dem schmucken Doppelhaus war die Firma Gottlieb Heinrich Meyer ansässig. Meyer lebte mit seiner Mutter, einer Haushälterin – u.a. Frieda Dransfeld – und einem jungen Mann, der das Kolonialwarengeschäft führte, zusammen; zur weiteren Hausgemeinschaft gehörten zwei Knechte und zwei Dienstmädchen.

In dem großen Haus waren das Geschäft und die Wohnung untergebracht. Dieses Haus hatte 16 Räume und einen großen Saal, der bei Einquartierungen mit Vorliebe von Offizieren belegt wurde. Im rechten Haus waren das Büro sowie die Lagerräume für die Eisenwaren und die Holzhandlung untergebracht. Zum Grundstück gehörte ein drittes Gebäude: ein Lagerhaus mit der Kaffeerösterei. G. H. Meyer besaß viel Land, zu dem auch das Gelände gehörte, auf dem die Grundschule und der Sportplatz liegen.

Meyer ließ selbst buttern und das fertige Produkt in seinem Laden verkaufen. Die Eichen auf dem Schulhof hat Meier in jungen Jahren gepflanzt. (1920 wurden einige, um Platz für das Schulgebäude zu schaffen, verkauft – 2.000 Mark für eine Eiche). Die Kastanienbäume auf dem Schulhof wurden von Schulkindern mit Rektor Humbke 1934 gepflanzt.

Meyer war ein tüchtiger Kaufmann. 1890 wurde er Vorsitzender des Vorstandes der 1886 gegründeten Sparkasse. Zu seinem mit Erfolg geführten Kolonialwarenladen betrieb er eine Holzhandlung. Wenn am Ausladeplatz an der Weser Schiffe anlegten, wurde oft von der Firma Meier Holz abgefahren, die damit die Tischler versorgte. Um das Holz als Floß anfahren zu lassen, war der Verbrauch zu gering.

Als Mitglied der Stadtvertretung übte Meyer auch einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Stadt aus, aber nicht immer im fortschrittlichen Sinne, denn er scheute jede größere Ausgabe der Stadt.

Im Boten an der Weser lesen wir am 07.04.1923: “Die Ruhebänke des V.V.P. (“Vereins Verliebter Pärchen”)  welche an der Chaussee nach Minden im Walde aufgestellt waren und manchem Spaziergänger zum Ausruhen dienten, sind leider völlig Opfer frevelnder Hände geworden. Was wohl der verstorbene G. H. Meyer, Vorstandsmitglied des V.V.P. (Verschönerungs-Vereins Petershagen) dazu gesagt hätte, daß seine Bänke, die er ausdrücklich ohne Rückenlehne wünschte, ein so klägliches Ende finden würden. Freilich hat sich der V.V.P. seit seiner letzten Sitzung, die vor 13 Jahren stattfand, noch nicht wieder an’s Licht gewagt. Das ist recht schade. Ein Verschönerungs- und Verkehrs-Verein wäre dringend notwendig.”

Als erfolgreicher Kaufmann lebte Meyer sehr sparsam und gönnte sich außer dem notwendigen Lebensunterhalt so gut wie gar nichts. Aber sein Personal hielt er gut und war ihnen ein gerechter Hausvater. Wenn im Herbst gedroschen wurde und das Wasser von der Pumpe über die Straße getragen werden musste, gab es für alle ein gutes Essen. Eine Frau, die bei dieser Gelegenheit Einblick in das Kaufmannshaus nehmen konnte, erzählte erstaunt : “Watt is de Meyer rieke, hei hält so bannig vel Petroleumsfätter up dei Deele stohn”.

In seinem Geschäft war Meyer sehr gewissenhaft. Jeder Hering, der aus der Tonne genommen wurde, musste an einer Wandtafel angeschrieben werden.

Besonders lebhaft ging es im Geschäft zu, wenn in Petershagen Markt war. Das war alle zwei Monate an einem Vormittag, und zwar einmal in der Altstadt, das andere Mal in der Neustadt.

Es wurden andere Waren als heute angeboten: Selbst geflochtene Körbe aus Weidenruten, Strauchbesen, Holzschuhe, Töpfe, irdene Schalen und die großen, aus einem dicken Baumstamm gehauenen Mulden (Mollen), die zum Schlachten und zum Backen benutzt wurden. Auch Vieh wurde aufgetrieben und gehandelt.

Als Meyer älter geworden war, hörte er, dass das Amtsgericht von Petershagen an einen anderen Ort verlegt werden sollte, weil kein Platz für einen Neubau vorhanden sei. Daraufhin verkaufte er sein Gelände mit den Ackerbürgerhäusern für 25.000 Goldmark. Er erwarb das Haus Nr. 8 des Glasschleifers Meyer, heute Haus Weber an der Mindener Straße 54.

Als alter Mann ging Meier über die Straßen in einem Mantel mit Umhang. In der rechten Hand hielt er seinen Handstock und spießte die Papierschnitzel auf, füllte damit einen kleinen Beutel und schüttete sie in einen Holzschuppen. Nach seinem Tode mussten einige Fuder Schnitzel abgefahren werden.

Meier nahm nirgendwo an Festen teil und lebte für sich allein. Die Bürger von Petershagen machten aus dem G. H. Meier: “Geizhals Meier“.

(Überliefert durch Ludwig Bähre. Quelle: Geschichten und Geschichte, 1989)

Amtsgericht, Richterwohnung und Ösperbrücke in den 1940er-Jahren.

Amerikanische Auswanderer der Superlative

Von Colette Llorca, einer Nachfahrin der Meyers im Alten Haus

Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen der Petershäger Kaufmannsfamilie Meyer, die die Altstadthäuser Nr. 120, 121 und 125 in der Unteren Poststraße bewohnte, und der amerikanischen Firmengruppe FAO Schwarz, New York, der ältesten Spielzeugmarke in den USA, blieben lange unbemerkt.

Die Verbindung zu den MEYER in Petershagen kam durch Thusnelde Gertrude ROTHE, * 1816 in Herford, zustande. Sie heiratete 1838 Gottlieb Heinrich MEYER (1810-1877) aus Petershagen, der nach dem Tod des Vaters 1841 das Geschäft im Alten Haus übernahm.

Ihre ältere Schwester Friedrike Wilhelmine Louise ROTHE, *1804 in Herford, hatte dort 1822 den Silber- und Goldarbeiter Johann Conrad Friedrich SCHWARZ geheiratet. Sie setzten zwölf Kinder in die Welt, darunter diese vier Brüder:

Wilh. Carl Heinrich (1825-1903), der schon 1840 nach New York auswanderte, nannte sich dort Charles W. Henry SCHWARZ. Da er Manhattan, wo er sich angekauft hatte, nicht mochte, soll er das Grundstück für ein Klavier eingetauscht und ein Schreibwarengeschäft in Baltimore eröffnet haben. Es ergab sich, dass er Spielzeuge, die die deutschen Exporteure gelegentlich dem Briefpapier beizulegen pflegten, um ihre Exporte auszuweiten, im Schaufenster ausstellte und verkaufte. Bald trat er in eine Partnerschaft mit einem anderen deutschen Spielzeugimporteur, aber ab 1872 war er alleiniger Eigner des SCHWARZ Toy Store, der bald als der beste der USA galt. Er wurde zum geschäftlichen Mentor seiner drei jüngeren Brüder. (Leider gibt es keine Fotos außer dem Familiengrabstein in Baltimore).

Justus Friedr. Eduard (1832-1920) folgte 1854 nach und nannte sich fortan Gustavus Adolphus (Gustavus A. SCHWARZ). Er arbeitete zunächst  bei Henry in Baltimore und eröffnete 1859 seinen eigenen Toy Bazaar in Philadelphia.

Friedrich August Otto (1836-1911) SCHWARZ folgte 1856, arbeitete zunächst bei Henry in Baltimore, wo er 1862 Juniorpartner wurde. 1870 eröffnete er seinen Toy Bazaar am Broadway, das Geschäft vergrößerte sich schnell, sodass schon zu FAOs Lebzeiten mehrmals andere Standorte notwendig wurden. 1931 bezog die Firma FAO SCHWARZ den Store an der Fifth Avenue, der in bekannten amerikanischen Spielfilmen als Kulisse diente. – Nach der Fusion mit Toys “R” Us und vorübergehenden Firmenturbulenzen eröffnete der neue FAO Schwarz-Store am 30. November 2018 am Rockefeller Plaza seine Tore. 

Richard Friedr. August SCHWARZ *1841 arbeitete ebenfalls zunächst in Baltimore, hatte dann in Boston ein eigenes Spielwarengeschäft. Da einer oder zwei der Brüder Schwarz jährlich zu den Spielzeugmessen in Deutschland reisten und dabei auch die Familie besuchten, kannte Gustavus A. Schwarz die Meyers schon seit einigen Jahren, als er schließlich 1862 seine elf Jahre jüngere Cousine Thusnelde Friederike Meyer *1843 in Petershagen geheiratet und mit nach Philadelphia genommen hat. Hier folgen Bilder ihres Geschäftes …

… sowie Vorder- und Rückseite ihrer Trade Card zu Weihnachten 1880.

Die Schwarz in Philadelphia haben sich durch ein monumentales Familiengrab verewigt, in dem die beiden Eheleute und sechs jüngere Familienmitglieder bestattet sind.

Gustav Schwarz hat im Andenken an seine 1910 verstorbene Frau eine Unterkunft für Obdachlose gegründet, in der sie kostenlos übernachten konnten:

Die drei Meyer'schen Häuser in der Unteren Poststraße wurden 1912 abgebrochen. Thusnelde Meyer ist eine Schwägerin des bekannten amerikanischen Spielzeughändlers FAO Schwarz in New York.

Station 15 - Altes Amtsgericht