Stadtrundgang Petershagen

Station 15 - Altes Amtsgericht

1912 weichen drei alte und ansehnliche Ackerbürgerhäuser dem Neubau eines Amtsgerichts mit Gefängnis (1913-1914). Der Besitzer G.H. Meier (mit Spitznamen “Geizhals Meier” genannt) verkaufte für diesen Zweck seine Besitztümer an die Stadt Petershagen und erhielt 25.000 Goldmark als Gegenwert.

Im Kaufvertrag vom 12. Oktober 1908 wird u.a. festgelegt, dass die Gefängnismauer “einen Einblick der Schüler von der geplanten Volksschule aus” verhindern soll. Bis 1959 sitzen Gefangene in den fünf Zellen ein. 1978 wird das Gefängnis geschlossen. 

Die Stadt Petershagen richtet hier 1989 eine Bürgerbegegnungsstätte ein, nachdem das Amtsgericht 1984 nach Minden verlegt worden war.

Der Verein “Rast im Knast” bietet seit 1993 Zellen zur Übernachtung an.

Das Amtsgericht nach der Eröffnung 1914. Der nördliche Anbau mit der Richterwohnung fehlt noch.

Schöne Fachwerkhäuser weichen dem Amtsgericht (1913)

Wo in der Mindener Straße das Gebäude des ehemaligen Amtsgerichts steht, standen einst alte Fachwerkhäuser mit schönem Gebälk und großen geschnitzten Holztoren.

In dem schmucken Doppelhaus war die Firma Gerhard-Heinrich Meier (G.-H. Meier) ansässig. Meier lebte mit seiner Mutter, einer Haushälterin – u.a. Frieda Dransfeld – und einem jungen Mann, der das Kolonialwarengeschäft führte, zusammen; zur weiteren Hausgemeinschaft gehörten zwei Knechte und zwei Dienstmädchen.

In dem großen Haus waren das Geschäft und die Wohnung untergebracht. Dieses Haus hatte 16 Räume und einen großen Saal, der bei Einquartierungen mit Vorliebe von Offizieren belegt wurde. Im rechten Haus waren das Büro sowie die Lagerräume für die Eisenwaren und die Holzhandlung untergebracht. Zum Grundstück gehörte ein drittes Gebäude: Ein Lagerhaus mit der Kaffeerösterei. G. H. Meier besaß viel Land, zu dem auch das Gelände gehörte, auf dem die Grundschule und der Sportplatz liegen.

Meier ließ selbst buttern und das fertige Produkt in seinem Laden verkaufen. Die Eichen auf dem Schulhof hat Meier in jungen Jahren gepflanzt. (1920 wurden einige, um Platz für das Schulgebäude zu schaffen, verkauft – 2.000 Mark für eine Eiche). Die Kastanienbäume auf dem Schulhof wurden von Schulkindern mit Rektor Humbke 1934 gepflanzt.

Meier war ein tüchtiger Kaufmann. 1890 wurde er Vorsitzender des Vorstandes der 1886 gegrundeten Sparkasse. Zu seinem mit Erfolg geführten Kolonialwarenladen betrieb er eine Holzhandlung. Wenn am Ausladeplatz an der Weser Schiffe anlegten, wurde oft von der Firma Meier Holz abgefahren, die damit die Tischler versorgte. Um das Holz als Floß anfahren zu lassen, war der Verbrauch zu gering.

Als Mitglied der Stadtvertretung übte Meier auch einen großen Einfluß auf die Entwicklung der Stadt aus, aber nicht immer im fortschrittlichen Sinne, denn zusammen mit dem “stillen” jüdischen Bankier Lindemeier scheute er jede größere Ausgabe der Stadt.

Als erfolgreicher Kaufmann lebte Meier sehr sparsam und gönnte sich außer dem notwendigen Lebensunterhalt so gut wie gar nichts. Aber sein Personal hielt er gut und war ihnen ein gerechter Hausvater. Wenn im Herbst gedroschen wurde und das Wasser von der Pumpe über die Straße getragen werden mußte, gab es für alle ein gutes Essen. Eine Frau, die bei dieser Gelegenheit Einblick in das Kaufmannshaus nehmen konnte, erzählte erstaunt : “Watt is de Meier rieke, hei hält so bannig vel Petroleumsfätter up dei Deele stohn”.

In seinem Geschäft war Meier sehr gewissenhaft. Jeder Hering, der aus der Tonne genommen wurde, mußte an einer Wandtafel angeschrieben werden.

Besonders lebhaft ging es im Geschäft zu, wenn in Petershagen Markt war. Das war alle zwei Monate an einem Vormittag, und zwar einmal in der Altstadt, das andere Mal in der Neustadt.

Es wurden andere Waren als heute angeboten: Selbstgeflochtene Körbe aus Weidenruten, Strauchbesen, Holzschuhe, Töpfe, irdene Schalen und die großen, aus einem dicken Baumstamm gehauenen Mulden (Mollen), die zum Schlachten und zum Backen benutzt wurden. Auch Vieh wurde aufgetrieben und gehandelt.

Als Meier älter geworden war, hörte er, daß das Amtsgericht von Petershagen an einen anderen Ort verlegt werden sollte, weil kein Platz für einen Neubau vorhanden sei. Daraufhin verkaufte er sein Gelände mit den Ackerbürgerhäusern für 25.000 Goldmark. Er erwarb das Haus Nr. 8 des Glasschleifers Meyer, heute Haus Weber an der Mindener Straße 54.

Als alter Mann ging Meier über die Straßen in einem Mantel mit Umhang. In der rechten Hand hielt er seinen Handstock und spießte die Papierschnitzel auf, füllte damit einen kleinen Beutel und schüttete sie in einen Holzschuppcn. Nach seinem Tode mußten einige Fuder Schnitzel abgefahren werden.

Meier nahm nirgendwo an Festen teil und lebte für sich allein. Die Bürger von Petershagen machten aus dem G. H. Meier: “Geizhals Meier“.

(Überliefert durch Ludwig Bähre. Quelle: Geschichten und Geschichte, 1989)

Amtsgericht, Richterwohnung und Ösperbrücke in den 1940er-Jahren.

Amerikanische Auswanderer der Superlative

Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen der Petershäger Kaufmannsfamilie Meyer, die die Altstadthäuser Nr. 120, 121 und 125 in der Unteren Poststraße bewohnte, und der amerikanischen Firmengruppe FAO Schwarz, New York, der ältesten Spielzeugmarke in den USA, blieben bislang unbemerkt.

Thusnelda Friederike Meyer (geb. 1843) heiratete 1862 in Petershagen den Kaufmann Justus (später: Gustav) Friedrich Eduard Schwarze aus Herford, der mit seinen drei Brüdern, Friedrich, Heinrich und Richard 1856 in die USA ausgewandert war. Thusnelda Friederike Meyer ist eine Schwägerin des Firmengründers Friedrich August Otto (FAO) Schwarz.

Die Brüder gelangten als Spielzeugproduzenten zu großer Bekanntheit. Während Friedrich August für einen Schreibwarenimporteur in Baltimore arbeitete, ergab es sich, dass er Spielzeuge, die die deutschen Exporteure gelegentlich dem Briefpapier beizulegen pflegten, um ihre Exporte auszuweiten, im Schaufenster ausstellte und verkaufte. Der große Erfolg ließ ihn 1862 mit seinen Brüdern ein Spielwarengeschäft in Baltimore gründen, das bald nach Philadelphia und Boston expandierte. 1870 eröffnete die Filiale am Broadway, 1931 bezog die Firma den Store an der Fifth Avenue, der in bekannten amerikanischen Spielfilmen als Kulisse diente.

Nach der Fusion mit Toys “R” Us und vorübergehenden Firmenturbulenzen eröffnete der neue FAO Schwarz-Store am 30. November 2018 am Rockefeller Plaza seine Tore. 

Textbaustein von Uwe Jacobsen (2020)

Die drei Meier'schen Häuser in der Unteren Poststraße wurden 1912 abgebrochen. Friederike Meyer ist eine Schwägerin des bekannten amerikanischen Spielzeughändlers FAO Schwarz in New York.

Station 15 - Altes Amtsgericht