2023 | Matthias Bronisch: Martha

Ein neuer Roman von Matthias Bronisch ist erschienen 

Matthias Bronisch 
Martha 
Das geliehene zweite Leben 

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Unser Leben gehört uns. Nur uns. Es ist nicht ausleihbar. Und dennoch tragen wir manchmal einen anderen Menschen mit durch unser eigenes Dasein. Wir haben nicht nach dieser Aufgabe gefragt und ganz bestimmt nicht um sie gebeten. Wir hadern damit, sind zerrissen zwischen Pflichtgefühl und Auflehnung, Liebe und schlechtem Gewissen. Es ist eine Zumutung. Besonders, wenn der Mensch, der einem selbstbestimmten Leben entsagt, die eigene Mutter ist. 

Dieses Buch handelt davon. Vom Loslassen und vielleicht gerade deshalb auch von einem späten Wiederfinden.

Es ist ein schmerzliches Buch, ein zärtliches Buch. 

Antje Doßmann

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Martha ist Anfang der dreißiger Jahre ein junges Mädchen aus gutem Haus, das voller Zuversicht in die Zukunft blickt. Der Arbeitsdienst führt sie nach Pommern, wo sie mit dem harten Alltag der dortigen Bauern konfrontiert ist. In dieser Zeit lernt sie ihren zukünftigen Mann, den Kunsthistoriker Gerold kennen. Die gemeinsamen Ehejahre sind von kurzer Dauer. Ihr Mann zieht in den Krieg und sie bleibt mit fünf kleinen Kindern zurück.

Auf sich gestellt erlebt sie die ersten Kriegsjahre in Stettin, die Flucht mit den Kindern, und nach Kriegsende das Warten und hoffen, dass ihr Mann doch noch heimkehren wird.

Rückblickend wird die Lebensgeschichte der Martha erzählt. Erinnernd spürt der Autor ihrem Leben nach und erzählt ein Schicksal, das exemplarisch für viele Frauen ihrer Generation steht.

Mechtild Borrmann

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Ausschnitt

“Sie hörte Schritte den Gang herunterkommen. Es war ihr Bruder, sie kannte den Rhythmus seiner Schritte, oft kam er, fragte, bot Hilfe an. Ihr Gewissen verbot ihr, diese Hilfe ständig in Anspruch zu nehmen. Als er die Tür öffnete und einen Augenblick zögernd stehen blieb, wusste sie, dass etwas geschehen war.

„Martha, Du weißt dass Ernst und ich alles unternommen haben ihn zu finden. Das war ja in den letzten Jahren nicht immer einfach, da suchen zu viele. Und noch sind ja auch nicht alle aus der Gefangenschaft zurück.“ Er unterbrach sich, der letzte Satz war falsch, er hätte nicht vom Zurückkehren sprechen sollen. „Heute kam ein Brief aus Horn.“ Sie sah den Brief in seiner Hand, doch sie streckte ihre Hand nicht danach aus.

„Sag, was drin steht, wohl nichts Gutes, du siehst mich so traurig an.“ „Nein, nichts Gutes.“ Er zögerte, nahm einen Stuhl und setzte sich neben sie. Vorsichtig legte er seine Hand auf ihren Arm.

„Er liegt in Horn auf dem Friedhof, er ist dort im Lazarett gestorben, noch im April 1945, kurz vor dem Ende des Krieges.“ Sie richtete sich auf. Sie müsste doch jetzt weinen, sie müsste sich an den Bruder lehnen und hemmungslos weinen, aber nichts rührte sich in ihr. „Wo ist das?“, fragte sie mit trockener Stimme. „In Österreich. Sie hatten schon gleich nach dem Krieg geschrieben, aber wir haben den Brief ja nie bekommen.“ „Nein, nie.“ „Willst du ihn lesen?“

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ISBN: 978-3-939264-49-1
KunstSinn Verlag, Bielefeld