1930 | Das Jugendstilportal der Aufbauschule

Melchior von Hugo (1872-1939)
 

Im Februar 1929 vernichtete ein Feuer mehrere Stockwerke des ehemaligen Preußischen Lehrerseminars Petershagen und mit ihnen die Aula aus dem Jahr 1885. Die Regierung zog bei der Renovierung der Schule den renommierten Jugendstilkünstler Professor Melchior von Hugo (1872-1939), Maler und Bildhauer, zu den Arbeiten hinzu.

Melchior von Hugo wurde am 23. März 1872 in Uchte geboren und studierte als Zeitgenosse von Kandinsky, Macke und Nolde zunächst an der Münchner, dann an der Stuttgarter Kunstakademie. Er erhielt seine Ausbildung bei den Koryphäen seiner Zeit, Herterich, von Kalckreuth und Hölzel. Als Schüler der Académie Julian und Eugène Carrières schuf er bis 1909 vorwiegend Fresken, unter anderem fur das Kloster Lüne, nach einer kunstlerischen Wende im Besonderen Skulpturen und Terrakotten. Literarisch ist Melchior von Hugo als Angehöriger der Munchner Bohème bei Arthur Holitscher verewigt.

Zu den Arbeiten des Künstlers gehörten neben großformatigen Allegorien in den Pfullinger Kunsthallen die Jugendstilkirche Gaggstatt, das durch Kriegseinwirkungen zerstörte französische Kriegerdenkmal Loretto in Lens sowie Denkmale in unserer Region, darunter der Uchter Schwertengel. Melchior von Hugo entwarf zwei Terrakotta-Figurinen für das Schulportal der Aufbauschule, die von der Schütte-AG Heisterholz gestiftet und in der Handformerei, in der der Künstler produzieren ließ, angefertigt wurden. Vor allem die Laborstudien Dr. Theodor Schumanns um die „Terra Sigillata“, die „versiegelte Erde“ (Forschungen seit 1927, Entdeckung 1930, Patentierung 1938), einem Produktionsverfahren zur Glasierung von Keramiken nach Vorbildern der römischen Antike, fanden wohl das Interesse des Künstlers. Von Hugos Konzeption idealisierte mit ihrem zeitgeschichtlichen Kolorit das Schulwesen der Weimarer Epoche: Eine auf das Portal führende Allee gab als Achse den Blick auf die beiden vor dem Eingang aufragenden Klinkerstelen frei, deren Struktur sich im Schulinneren widerspiegelt. Die bekrönenden Terrakotten, ein mit dem Blick nach außen gerichtetes Schülerpaar, erhielten nach einer Satire von Dr. Karl Grossmann, die er 1935 fur die „Vereinigung ehemaliger Vormbaumschüler“ anfertigte, die Namen „Mariechen Wehling“ und „Wilhelm Meier“.

Die Ortsheimatpflege Petershagen setzt sich fur die Rekonstruktion des Schulportals ein, da es sich um ein seltenes Beispiel fur den Stil des Klinker-Expressionismus handelt. Nur die weibliche Schülerfigur blieb als Installation im Foyer des Schulneubaus erhalten, nachdem sie beim Abbruch des Portals im Zuge einer Erweiterung 1958 von der Schulsekretärin gerettet werden konnte. Die erhaltene Figur bildete einen ursprunglichen Bestandteil derjenigen Gebäudefassung, die im Zuge der jüngsten Renovierung angestrebt wurde. Die vielfältigen kunst-, zeit-, bau-, industrie- und schulgeschichtlichen Bezüge des Portals können einen Beitrag zur Identifikation mit der Schule leisten.

Abbildungen: A. Aufbauschule, Jugendstilportal (1930). B. Terrakotta-Produktion Melchior von Hugos in der Handformerei der Schütte-AG (1929). C. Die Aula nach dem Brand (9. Februar 1929). D. und E. Die wiederhergestellte Aula (Mai 1939) mit: Vormbaum-, Ebert- und Hindenburg-Gemälde, Gedenktafel, Orgelneubau (vermutlich von der Firma E. F. Walcker), Rednerpult und Art déco-Ausstattung in rötlichen Farbtönen und in Gold. Die Zitate des umlaufenden Wandfrieses lauteten: Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen (Schiller). Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren (Goethe). Bei dir ist die Quelle alles Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht (Psalm 36,9). Abb. aus den Sammlungen der Ortsheimatpflege Petershagen und der Schütte AG. (Text: Uwe Jacobsen 2014)