Zur Historizität der Straßennamen von Petershagen
Zur Historizität der Straßennamen von Petershagen am Beispiel der Goebenstraße
Im Hinblick auf die recht komplexe Entwicklung der heimischen Hausnummern und Straßenbezeichnungen sind um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert parallele Überlieferungstraditionen festzuhalten. A. Eine Reihe gewachsener mittelalterlicher Straßennamen, die in ihrem Ursprung auf die bischöfliche Urkundenüberlieferung zurückgehen. B. Ein spätmittelalterliches Hausnummernsystem als Teil der Kirchbuchüberlieferung. C. Die Akten der Katasterämter.
Die Darstellung folgt der Voraussetzung, dass die amtliche Erfassung der Straßennamen und Hausnummern seit Gründung der Provinz Westfalen zu den Aufgaben der Katasterämter im ehemaligen Regierungsbezirk Minden gehörte. Sie ermittelten nach Abschluss der preußischen Landvermessung die Grundlagen für Steuererhebungen. Die Entwicklung vollzog sich in folgenden Schritten:
14.-16. Jahrhundert
Einzelne Straßenbezeichnungen werden mündlich tradiert. Prominentestes Beispiel ist die mit Bohlen befestigte „Bahlenstraße“ (1385). Die Stadtchronik nennt nach der Art der Befestigung noch den im 16. Jahrhundert erwähnten „Steinweg“, die heutige Hauptstraße. Daneben tritt in älterer Zeit nur noch die „Sackstraße“ in Erscheinung. Die Straßenbezeichnungen sind von den Flurnamen zu unterscheiden.
1745
Erstes systematisches Verzeichnis der überlieferten Hausnummern von Petershagen. Die Kontributionsliste im Kirchenbuch vereinheitlicht die spätmittelalterliche Hausnummerntradition zu Steuerzwecken. Das System der sogenannten „alten Hausnummern“ liegt vollständig erschlossen vor.
18.-19. Jahrhundert
In der örtlichen Überlieferung gesellen sich vereinzelt erläuternde Beinamen zu den tradierten Hausnummern. Sie veranschaulichen als Ortsangabe die Lage des Wohnplatzes, der bislang nur durch die Hausnummer festgelegt worden war, z.B. als „Fischerort“, “Hafenstraße”, „Schulstraße“, „Schlossplatz“, „Feldflur“ oder „Grabenstraße“. Dieser Prozess ist am Ende des 19. Jahrhunderts abgeschlossen.
1863
Die Gebäudesteuerveranlagung weist erstmals amtliche Straßenbezeichnungen für Petershagen aus. Sie ordnet den Gebäuden im südöstlichen Stadtviertel zwischen Haupt- und Mindener Straße unter Verwendung des gewachsenen Hausnummernsystems die generalisierende Bezeichnung „Poststraße“ zu. Die Menge der Straßenbezeichnungen ist überschaubar. Eine Synagogenstraße tritt nicht in Erscheinung. Die Transkription der Gebäudesteuerveranlagung liegt vor.
1895
Einrichtung des Katasteramtes Minden II. Dem Amt wurden die Städte Petershagen und Schlüsselburg sowie die Ämter Hartum, Petershagen, Schlüsselburg und Windheim unterstellt. Bis zum Jahr 1895 liegen aufgrund von Kassationen weder Akten noch Aktenpläne vor. Die Regierung erlässt 1898 eine Verfügung zur Herstellung von Registraturordnungen, da „die Registraturen [der Katasterämter] sich noch vielfach […] in einem ungeordneten Zustand befinden“.
1895
Im heimatkundlichen Nachlass von Friedrich Daake erscheinen ab 1895 die parallel gebrauchten Bezeichnungen „Synagogenstraße“ und „Kleine Poststraße“. Sie werden als Beinamen zu den Nummern des alten Haussystems hinzugefügt. Diejenigen Häuser, die links und gegenüber der Synagoge lagen und die Nummern 152, 153, 154 und 333 trugen, versah Daake mit dem Beinamen „Synagogenstraße“, während die restlichen Häuser unter der Bezeichnung „Kleine Poststraße“, als Durchfahrt zwischen den beiden Poststraßen, der „oberen“ und „unteren“ Poststraße, heute Haupt- und Mindener Straße, subsumiert wurden. Am Amtsstubenhaus erinnert ein „Radabweiser“ oder „Radstößer“, der dem Schutz der Hausecken diente, an die Passage der Postkutschen in früheren Zeiten.
1910
Das „Gebäudebuch des Bezirks Petershagen“ (1910-1924) im Katasteramt Minden II löst als amtliches Kataster das spätmittelalterliche Hausnummernsystem ab. Es genügte nicht mehr den Verwaltungsstandards seiner Zeit. Die seit 1895 belegte Gepflogenheit, alte Hausnummern mit Beinamen zu versehen, weitete sich bis 1910 aus und umfasste nun am Beispiel der Bezeichnung „Synagogenstraße“ die südlichen, rechts der Straßenseite gelegene Häuser, zum Teil mit doppelten und auch dreifachen Straßen- und Hausnummernbezeichnungen, während die übrigen Gebäude des Viertels weiterhin den Straßennamen „Kleine Poststraße“ trugen.
1913
Die Einrichtung des Katasteramtes Petershagen am 1. Juli 1913 führte zu einer Neustrukturierung der Katasteramtsbezirke. Das Amt umfasst jetzt nur noch den Amtsgerichtsbezirk Petershagen. Der Aktenplan ist nun nach amtlichen Straßenzügen geordnet. Die Akte der „Goebenstraße“ fasst die vorausgegangenen steuerlichen Veranlagungsgrundlagen zusammen. Die konkurrierenden Bezeichnungen der Vorakten „Poststraße“, „Kleine Poststraße“ und „Synagogenstraße“ werden zugunsten der Bezeichnung „Goebenstraße“ aufgehoben. Die Namensgebung knüpft – wie im Fall der Wilhelmstraße – an die preußische Ortstraditionen an. Hier sind zu nennen der Aufbau des Lehrerseminars, der Präparande und des Amtsgerichts, die erste Biographie Friedrich Wilhelm III. durch Seminardirektor Vormbaum sowie der Innenausbau der Petrikirche durch ein “Gnadengeschenk” Friedrich Wilhelm III..
Uwe Jacobsen, Ortsheimatpfleger (Juli 2021, Quellen auf Anfrage)
Preußische Landesaufnahme, Flur 4 Petershagen, LAV NRW OWL D73 Kat Mi 3 104. Mit freundlicher Genehmigung.