2014 | 170 Jahre Israelitische Gemeindeschule Petershagen. Synagoge und Schule.

Vortrag am 26. September 2014 im Alten Amtsgericht Petershagen
 

Der Verein der Ortsheimatpflege Petershagen lädt zu einem multimedialen Vortragsabend ein. Referent ist Ortsheimatpfleger Uwe Jacobsen. Er wird aus Anlass der Gründung der ehemaligen Israelitischen Elementar-Gemeindeschule vor 170 Jahren, im September 1844, anhand von ausgewählten Quellen auf die kulturgeschichtliche Bedeutung dieser Religionsschule, ihre Pädagogik und ihre Baugeschichte eingehen. Einen Schwerpunkt in der Darstellung bildet das Schicksal des jüdischen Lehrers Isaac Unna Cohen, für den sich im Zuge der damaligen Bildungsreform neben örtlichen Persönlichkeiten auch der preußische König Friedrich Wilhelm III. einsetzte.

Weitere Themenkomplexe beschäftigen sich mit der Ausbildung von jüdischen Lehramtskandidaten am Preußischen Lehrerseminar Petershagen sowie der Religionspädagogik ihres Direktors Friedrich Vormbaum. Die jüdische Schule Petershagen bestand über eine Dauer von 73 Jahren bis in das Jahr 1917 hinein. Die Umwälzungen des I. Weltkrieges führten zum Ende der Institution.

Vortrag zur Gründung der Israelitischen Gemeindeschule Petershagen
im September 1844
Inhaltszusammenfassung

Die jüdische Gemeinde Petershagen gründete vor 170 Jahren, im September 1844, eine private  Religionsschule, die als Israelitische Elementar-Gemeindeschule bezeichnet wurde. Es erfolgte eine Umnutzung des westlichen Vorgebäudes, indem ein Klassenzimmer und eine Lehrerstube nach dem Vorbild der preußischen Volksschule eingerichtet wurden. Das westliche Vorgebäude entsprach in seiner ursprünglichen Anlage dem baugeschichtlichen Typus einer Frauensynagoge mit eingegliederter Mikwe, und nicht dem eines Schulgebäudes im Sinne unseres heutigen Verständnisses. Betsaal und Vorgebäude trugen in ihrer Gesamtheit den Namen “Schul”, als Synonym für die Bezeichnung “Synagoge”, dem Ort des religiösen Lernens.

Die Regierung Minden unterzog nach der Gründung der Provinz Westfalen das jüdische Schulwesen ihres Bezirkes einer Revision. Zuvor hatte sie in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts in umfangreichen Enqueten, den frühesten Untersuchungen zum jüdischen Schulwesen in Preußen überhaupt, den gesetzlichen Rahmen hierfür geschaffen. Nach Einführung der Schulpflicht nahmen die jüdischen Kinder am christlichen Elementarunterricht in den bürgerlichen Schulen teil. Nur in Orten, in denen eine Synagoge bestand, bildeten sich jüdische Schulen heraus. Dies geschah an 28_ Orten des Regierungsbezirks Minden. In Petershagen unterrichte Isaak Unna Cohen nach der anfänglichen Polizeiausweisung auf der Grundlage einer Kabinettsordre des preußischen Königs. In sechs Fällen besaßen die jüdischen Religionsschulen den Status einer öffentlichen Elementarschule, so auch in Minden, wo die Gemeinde ein eigenes Gebäude unterhielt. Diese Schule besuchte Franz Boas.

Die jüdischen Schullehrer schlossen sich im Vormärz zu einem Lehrerverein zusammen und hielten pädagogische Konferenzen und gegenseitige Hospitationen ab. Die wichtigste Konferenz fand kurz vor der Märzrevolution in Petershagen statt. Sie stand unter dem Vorsitz des Lübbecker Reformpädagogen Benjamin Wolf und versammelte die pädagogische Elite der Region.

Bis in die 1850er-Jahre hinein bildete Friedrich Vormbaum, Direktor des Preußischen Lehrerseminars Petershagen, insgesamt 14 jüdische Schulamtskandidaten, auch aus den Reihen der in Petershagen ansässigen Familien aus. Dieses Vorgehen stellte im Preußischen Seminarwesen eine Singularität dar. Vormbaum vertrat als Vermittler der Reformpädagogik Pestalozzis dessen liberalen Ansatz. Den jüdischen Schulamtsbewerbern bot sich am hiesigen Seminar die Möglichkeit einer Ausbildung mit musikalischem Schwerpunkt an, um das Orgelspiel für den Gebrauch in Reformsynagogen zu erlernen.

Da die Verfassung der Elementarschulen in gleicher Weise für das christliche und jüdische Schulwesen galt, erfolgte die Schulaufsicht durch Kirche und bürgerliche Obrigkeit. Der Religionsunterricht durfte allein jüdischen Kindern von staatlich approbierten Elementarlehrern erteilt werden. Die Aufnahme der Kinder in die jüdische Gemeinde fand in Westfalen durch eine den christlichen Kirchen nachempfundene Konfirmation am Ende des 13. oder 14. Lebensjahres statt.

Heute ist die Synagoge Petershagen, mit ihrer ursprünglichen Verbindung aus Betsaal und Vorlokal, das einzige Gebäude seiner Art im Bezirk der ehemaligen Regierung Minden, das die Zeit des Nationalsozialismus überdauert hat.
(Uwe Jacobsen, 26. September 2014)

2014 | 170 Jahre Jüdische Schule – Vortrag (PDF)