Nr. 284 | Der Freihof des reformierten Pfarrers

Dr. Karl Großmann (1896-1981)

Die Burgmannshöfe und Freien Häuser in Petershagen
Stadtarchiv Petershagen | Typoskript 1937

Die Freien Häuser der Geistlichen
Das Freihaus des Reformierten Pfarrers

Der Übergang des Fürstentums Minden an Brandenburg brachte mit der Regierung auch eine Reihe reformierter Beamten nach Petershagen, an der Spitze den Statthalter von Minden-Ravensberg Graf Johann von Sayn-Wittgenstein. Bei dem damaligen starken Gegensatz zwischen Reformierten und Lutherischen legten die Reformierten Wert darauf, eine eigne Kirche zu bekommen. Diese fand sich in der ehemaligen Schlosskapelle, die auf Veranlassung des Grossen Kurfürsten wieder neu hergerichtet wurde. Als erster Pfarrer mit dem Titel Hofprediger wurde der Pfarrer Huckenrod nach Petershagen berufen. Er blieb auch noch, als die Regierung 1667 nach Minden verlegt wurde, und siedelte erst im Jahre 1674 nach Minden über, wo eine neue reformierte Gemeinde gegründet worden war.

In Petershagen war ihm als Wohnung das Haus Nr. 284, heute Mindener Str. 4, zur Verfügung gestellt worden. Das Haus blieb auch nach Aufhebung der Pfarrstelle in dem Besitz der Gemeinde und wurde von ihr vermietet. So hat z.B. der Amtmann Lonicerus um 1700 darin gewohnt. Als Pfarrhaus war es naturgemäß von den Steuern und Lasten befreit.

Im November 1705 verkaufte die Gemeinde das nicht mehr benötigte Haus an den Leutnant der Kavallerie Friedrich Philipp Meyer „mit allem, was darin Erdt-, niedt- und nagelfest ist“ und vor allem mit „der Freyheit von Contribution, Einquartierung, Bollwerken, Bürgerlicher Fleckens Jurisdiktion und allen andern oneribus, sie haben nahmen wie sie wollen”, für 340 Taler, ein erstaunlich billiger Preis, der aber dadurch seine Rechtfertigung findet, dass das Haus eigentlich nur noch eine Ruine war. Denn die große Feuersbrunst vom 8.II.1705 hatte 112 Häuser der Neustadt in Asche gelegt. Auch an dem Pfarrhaus war das Hinterhaus völlig niedergebrannt, und das Vorderhaus an der Strasse war so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass es erheblicher Kosten bedurfte, um es wieder in wohnfähigen Zustand zu bringen. Das worauf es dem Käufer ankam, waren in der Hauptsache die Burgmannsrechte, wie es ausdrücklich in dem Kaufvertrage betont wird. Diese sollten aber nur so lange in Kraft bleiben, wie „keine bürgerliche Nahrung in dem Hause betrieben würde.“

So erwirbt denn auch der Leutnant Meyer, dem Beispiel der andern Burgmänner folgend, für seine Familie einen Kirchenstuhl von 5 Sitzen, außerdem auch ein Erbbegräbnis in der Kirche, in dem er am 19.V.1732, fast 80 Jahre alt, beigesetzt wird. Über die Herkunft des Leutnants ist nichts bekannt. Wahrscheinlich gehörte er mit dem in gleicher Zeit auftauchenden Rittmeister Meyer in jenes Kavallerieregiment, das zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit einem Teil auch in Petershagen in Garnison lag. 

Die Besitzverhältnisse nach dieser Zeit erscheinen nicht ganz klar. Schlichthaber nennt 1753 den Hof noch den Meyerschen Hof, das etwas jüngere Kirchenregister bringt als Besitzer die Familie Pavort. Einen Anhaltspunkt, der durch die bestehende Verwandtschaft gestützt wird, gibt eine Eintragung der aufeinander folgenden Besitzer eines der Kirche gehörenden Gartens. Daraus ergibt sich etwa folgendes: Erster Erbe dürfte der Leutnant Pavort gewesen sein, dessen Kinder 1720 konfirmiert werden, und der selbst 1740 stirbt. Sein Erbe war der Regimentschirurg Theodor Ludwig Pavort, gestorben 1776; denn sein Grabstein war ursprünglich der des Leutnants Meyer, der also zum zweiten Male benutzt wurde. Als weiterer Besitzer wird der Kapitän Schiepel genannt, der aber schon 1757 starb und mit einer Henriette Juliane Pavort verheiratet war. Durch ihre Tochter kam der Hof in den Besitz des Johann Georg David Briest aus Minden, der ihn an den Petershäger Bürger Penningroth verkaufte.

Genauere Grundlagen als das Kirchenregister gibt das seit 1818 angelegte Grundbuch. Danach war um diese Zeit Besitzer des ehemaligen Pfarrhauses, das nunmehr natürlich seine Freiheiten auch eingebüsst hatte, der Kaufmann Christian Konrad Wilhelm Nahrwold, dem zugleich auch das an der Mindener Str. liegende Haus Nr. 2 gehörte. Er hatte die beiden Grundstücke teils durch Heirat, teils durch Kauf erworben.

Das Haus Nr. 284 gibt er im Jahre 1843 an Friedrich Wilhelm Rehling ab, der es 1856 an Wilhelm Wulfmeyer verkauft. Von diesem ist etwa um 1860 die vor dem Hause stehende Kastanie angepflanzt worden. Der jetzige Besitzer,  Schlachtermeister Mennicke, hat das Haus um 1900 erworben und die an der linken Seite befindliche Scheune in ein Wohnhaus umbauen lassen.

(Quellen: Stadtarchiv Petershagen, Nachlass Großmann, Typoskript 1937, Die Orthographie folgt dem Original. Großmann, Karl: Die Burgmannshöfe und Freien Häuser in Petershagen. In: Mindener Jahrbuch Bd. 9 (1937/38), S. 161-182. Monumenta germaniae historica URL: https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a144197.pdf)

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Abb. oben: Dr. Karl Großmann: Zeichnung. Lageplan. Die Burgmannshöfe und freien Häuser in Petershagen (1937). Die Bezifferung der Karte folgt nicht der Systematik des Artikels. 1. Hiddenser Hof, 2. Besselscher Hof (Altstadt), 3. Besselscher Hof (Neustadt), 4. Hempellscher Hof, 5. Mülbescher Hof, 6. Gadenscher Hof, 7. Vethakescher Hof, 8. Reformiertes Freihaus, 9. Wehkingscher Hof, 10.  Scheringscher Hof.

Kalenderblatt. Quelle unbekannt. Von links: Petershagen Nr. 284 (Haus Mennicke), Nr. 144 (Haus Pohlmeier), Nr. 145 (Haus Uhrmacher Neumann).

Die Ackerbürgerhäuser in der Hauptstraße 4, 6 und 8 sind heute eingetragene Denkmale. Das linke der drei Fachwerkhäuser beherbergte den reformierten Pfarrer, der seit der  Mitte des 17. Jahrhunderts die Gottesdienste in der Schlosskapelle ausrichtete. Hauptstr. 2, 4, 6, 8, mit den alten Hausnummern Nr. 139, 284, 144, 145 (Foto im Mai 2021).

Der Künstler Gustav Mennicke bewohnte um die Jahrhundertwende das Haus Nr. 284.